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„Bruderorgane“ durchkreuzen nachträglich die Stasi-Aktenvernichtung

HV-A-Chef Markus Wolf im Kreise anderer Stasi-Generäle. Wolf war allerdings schon vor der Wende aus der Stasi ausgeschieden. Repro: hw

HV-A-Chef Markus Wolf im Kreise anderer Stasi-Generäle. Wolf war allerdings schon vor der Wende aus der Stasi ausgeschieden. Repro: hw

Dresden/Berlin, 23.2.2012. Unter den Historikern nährt sich die Hoffnung, die Stasi-Aktenvernichtungsaktion im Nachhinein doch noch durchkreuzen zu können. Denn nachdem jetzt ein Austauschprogramm zwischen der deutschen Stasi-Aktenbehörde BStU und deren Schwesterbehörden in Tschechien, Polen, Bulgarien und anderen einst sozialistischen Ländern angelaufen ist, zeigte sich BStU-Historiker Dr. Douglas Sevage heute am Rande eines Vortrags in Dresden zuversichtlich, vernichtete Unterlagen der für Auslandsspionage zuständigen ostdeutschen „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HV A) durch dort gelagerte Duplikate rekonstruieren zu können. „Ich hoffe, dass wir durch unsere Schwesterbehörden mehr über die HV-A-Aktivitäten erfahren können“, sagte er.

Auslandsgeheimdienst durfte seine Akten mit Segen des „Runden Tisches“ vernichten

Während der politischen Wende in der DDR 1989/90 hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beizeiten begonnen, ihre Akten zu zerstören. Das Übergangsgremium „Runder Tisch“ stoppte damals zwar die Verbrennung der meisten Akten, gestattete aber letztlich der HV A, deren Unterlagen über Westspione zu vernichten.

Bereits in den 1990er Jahren stellte sich aber heraus, dass ein Teil der Akten und Datenbanken dem Autodafé zufällig entgangen war. Der größere Teil der – meist geschredderten und zerrissenen – HV-A-Unterlagen lagert derweil in Schnipsel-Lagern. Ihre Rekonstruktion soll mit Computerhilfe in diesem Jahr voll anlaufen (Wir berichteten). Dies wird aber wohl Jahre dauern. Zudem dürften wohl nicht alle Papiere wiederherstellbar sein, auch wurden einige zu Wende-Zeiten verbrannt.

Historiker Douglas Selvage. Abb.: hw

Historiker Douglas Selvage. Abb.: hw

Telegramme und Akten für die sozialistischen Brüder

Die Forschungslücke könnte nun aber auch durch Telegramme und gemeinsame Akten geschlossen werden, die die HV A mit ihren „Bruder-Organen“ in anderen sozialistischen Ländern ausgetauscht hatte. Schon eine erste Sichtung habe zu neuen Erkenntnissen geführt, erklärte der US-stämmige Historiker Selvage, der jetzt für den „Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit“ (BStU) arbeitet. Der Dresdner BStU-Außenstellen-Leiter Konrad Felber zeigte sich erfreut und hoffnungsfroh, den Aktenvernichtungsplan der ostdeutschen Schlapphüte nachträglich ad absurdum führen zu können.

Aktenaustausch wird keine Einbahnstraße sein

Der nun angestoßene Austausch mit den Geheimdienst-Unterlagenbehörden in den östlichen Nachbarländern werde keine Einbahnstraße sein, schätzte Selvage ein. „Die tschechische Stasi hat zum Beispiel nicht die Akten ihrer Auslandsaufklärung vernichtet, dafür aber Unterlagen über tschechische Oppositionelle. Zu diesen Vorgängen haben wir wiederum einiges in unseren Archiven, da die ostdeutsche und die tschechische Stasi gerade bei der Bekämpfung von Dissidenten recht eng zusammen gearbeitet haben.“

Aber selbst KGB bekam nur zensierte HV-A-Berichte

Allerdings ist kaum anzunehmen, dass durch diesen Aktenaustausch die „geheimsten Geheimnisse“ der HV A zu Tage kommen: Wie aus den Memoiren des langjährigen HV-A-Chefs Markus Wolf hervor geht, bekam selbst der sowjetische KGB von den Ostdeutschen nur vorzensierte Berichte. Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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