Dresden/Cambridge, 16.5.2012: Das Plastikelektronik-Unternehmen „Plastic Logic“ (PL) hat sich unter seinem neuen Chef Indro Mukerjee nun aus der Produktion eigener eBuch-Lesegeräte (eReader) zurückgezogen und will sich künftig auf die Fertigung organischer Bildschirme und Kunststoffelektronik sowie die Lizenzierung dieser Technologie an Dritte konzentrieren. Diese Änderung des Geschäftsmodells hat PL heute bekannt gegeben.
Keine Volumenproduktion mehr in Dresdner PL-Fabrik – Belegschaft schrumpft
Die bisher einzige Bildschirm-Fabrik des Unternehmens in Dresden soll zwar erhalten bleiben, müsse aber Personal abbauen, räumte Standort-Sprecherin Rachel Lichten auf Oiger-Nachfrage ein. „Die Fabrik war bisher auf die Volumenfertigung für unsere eReader ausgelegt. Da durch unsere neue Unternehmensstrategie solche Volumen nicht mehr vorgesehen sind, werden wir uns leider von einigen Mitarbeitern trennen müssen.“ PL hatte in seinem Dresdner Werk zeitweise bis zu 200 Mitarbeiter beschäftigt. Wieviel genau davon gehen müssen, wollte Lichten noch nicht mitteilen.
Entwicklungszentrum in USA macht dicht
Weil PL seine eReader nicht mehr weiter entwickelt, soll der Forschungsstandort in den USA sogar ganz schließen. Erhalten bleibt das Entwicklungs-Zentrum in Cambridge – PL war vor zwölf Jahren als Ausgründung der Uni Cambridge entstanden.
Investitionen in Russland geplant
Andererseits plant die Unternehmensleitung, „ein Spitzenforschungszentrum für Kunststoffelektronik“ in Russland zu errichten, mutmaßlich auf Drängen des Anteilseigners RUSNANO – die staatliche gesteuerte russische Beteiligungsgesellschaft war vor zwei Jahren mit frischem Kapital in das Unternehmen eingestiegen, nachdem dessen „Que Reader“-Markteinführung vor allem an der Konkurrenz durch Apples iPad gescheitert war (Wir berichteten).
Mit dem „PL 100“ hatte die Firma danach zeitweise ein eBuch-Lesegerät für Schüler produziert, vor allem für den russischen Markt. Ebenso wie der „Que Reader“, der nie verkauft wurde, basierte der „PL 100“ auf den in Dresden produzierten Displays, wurde aber bei einem Auftragsfertiger zu fertigen eReadern montiert.
Neue Anwendungen, Auftragsproduktion und Lizenzen sollen Einnahmen generieren
Man wolle nun auch neue Anwendungsfelder für die PL-Kunststoffelektronik finden, selbst jenseits der Bildschirmindustrie, teilte Lichten mit. Denkbar sei zum Beispiel der Einsatz der Kunststoffelektronik für Sensoren. Zudem sei man bereits mit möglichen Lizenzierungspartnern im Gespräch.
Der eReader-Markt sei ein begrenzter, stark umkämpfter und teils subventionierter Markt, begründete Lichten die Abkehr von den eBuch-Lesegeräten. Sie verwies Beispiele wie Amazons eReader „Kindle“, der sich kaum über den Verkaufspreis, sondern vor allem über die damit verkauften eBücher und andere Inhalte refinanziere.
Technologisch und wirtschaftlich hatten sich in den vergangenen Jahren große Hoffnungen an die im Jahr 2000 gegründete Firma „Plastic Logic“ geknüpft, die sich auf biegsame Kunststoffelektronik statt starrer Siliziumtechnik als Ansteuerelektronik für Bildschirme spezialisiert hatte. Damit wurden auch großformatige flexible Displays bis zu 10,7 Zoll ermöglicht.
Land Sachsen finanzierte 100 Millionen Euro teure PL-Fabrik mit
Im Jahr 2007 hatte PL mit staatlicher Förderung eine rund 100 Millionen Euro teure Fabrik für solche Bildschirme in Dresden-Rähnitz errichtet. Das daraus konzipierte Endprodukt, der großformatige „Que Reader“ für eBücher und digitale Dokumente, wurde jedoch erst 2010 fertig und angesichts des anrollenden iPad-Siegeszuges dann gar nicht mehr auf den Markt gebracht.
Farbiges ePapier und Videofähigkeit demonstriert
Nach dem Einstieg von RUSNANO kurz darauf plante das Unternehmen zunächst einen Que Reader 2 – dieses Projekt ist nun beerdigt. Dafür gelang es PL inzwischen, biegsames elektronisches Papier mit Farbdarstellung zu entwickeln. Zwar hat auch Konkurrent „E Ink“ inzwischen farbiges ePapier im Programm, dieses wird aber von klassischer Elektronik angesteuert und ist damit kaum biegsam. Außerdem hat PL nun ePapier entwickelt, das Videos abspielen kann – bisher eine Domäne aktiver und vergleichsweise stromhungriger Bildschirme wie beim iPad.
PL hofft nun, unter anderem durch die Auftragsfertigung oder Lizenzierung dieser Neuentwicklungen für andere Gerätehersteller solide Einnahmen zu generieren. Mit einem ähnlichen Geschäftsmodell – Know-How-Verkauf und Zulieferung statt aufwendiger eigener Endprodukte – agiert zum Beispiel Novaled recht erfolgreich am Markt – ein anderes, inzwischen auch kommerziell erfolgreiches Vorzeige-Unternehmen aus dem Dresdner Kunststoffelektronik-Cluster. Heiko Weckbrodt
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