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Königsweg Automatisierung: Dresdner Spezialisten profitieren vom weltweiten Überschuss alter 200-mm-Chipfabriken

Die meisten Roboter bei Infineon Dresden sehen wie klassische Industrieroboter aus - aber es gibt auch zwei "Humanoide", die durch die Produktion tingeln und die Reinraum-Atmosphäre kontrollieren. Abb.: Infineon

Blick in den Infineon-Reinraum in Dresden. Hier dominieren Industrieroboter – aber auch humanoide Roboter helfen mit. Abb.: Infineon

Dresden, 7.8.2012: Der Wandel zum „Foundry-Modell“ in der Mikroelektronik hat neue Geschäftsmodelle für findige Halbleiter-Dienstleister hervor gebracht: Unternehmen wie „Ortner“ in Dresden haben sich darauf spezialisiert, alte 200-Millimeter-Fabriken nachträglich zu automatisieren, damit sich deren Weiterbetrieb über Jahre hinweg lohnt. „Für dieses spezielle Know-How von uns interessieren sich immer mehr Halbleiterfirmen“, betont Ortner-Chef Heinz Martin Esser, in Personalunion Präsident des sächsischen Hightech-Verbandes „Silicon Saxony“. „Das ist nicht nur für uns und unsere Partner in der Region eine Chance, sondern entwickelt sich zu einem rentablen Thema für den ganzen Standort Sachsen.“

Um den Hintergrund zu verstehen, muss man ein wenig um die Ecke denken: Die hohen Kapitalkosten für neue 300-Millimeter-Chipfabriken haben nämlich viele Elektronikunternehmen in den vergangenen Jahren dazu bewogen, auf eine Umrüstung ihrer 200-mm-Fabriken auf größere Siliziumscheiben (Wafer) zu verzichten. Viele lassen ihre neuesten Chips nun bei Auftragsfertigern (Foundries) statt in eigenen Werken produzieren – in der Branche nennen sich dieses Modell „Fabless Company“ beziehungsweise „Fablight“.

200-mm-Fabs meist wenig automatisiert gebaut

In Chipfabriken ist Präzision gefragt. Abb.: Roth & Rau / Ortner

In Chipfabriken ist Präzision gefragt. Abb.: Roth & Rau / Ortner

Dieser Trend wiederum hat aber weltweit einen Überschuss an Mikroelektronik-Fabriken zurück gelassen, die noch auf 200-Millimeter-Wafern prozessieren. Als die aber – vor allem in den 1990ern – gebaut wurden, spielte Automatisierung noch keine große Rolle: So trugen die Operators in den Reinräumen zum Beispiel die Wafer-Boxen seinerzeit in aller Regel von Anlagen zu Anlage, während diese Aufgaben in modernen 300-mm-Fabs Roboter und automatische Transportsysteme übernehmen.

Infineon sei als Fallbeispiel angeführt: Etwa zu der Zeit, als sich der deutsche Chipkonzern seine (später pleite gegangene) Speichersparte „Qimonda“ abspaltete, entschied sich der Vorstand, den teuren Wettlauf um neueste eigene Fabriken nicht mehr mitzumachen. Dabei spielte auch die neue Ausrichtung hin zum Anbieter spezieller Logikchips zum Beispiel für die Automobil– und Sicherheitskarten-Industrie eine Rolle: Deren Losgrößen liegen oft deutlich unter den Massenauflagen der dRAM-Speicher, was eine Vollauslastung für 300-mm-Fabriken eher fraglich machte.

Daher die zweigleisige Weichenstellung: Die eigenen 200-mm-Fabriken wie die in Dresden werden zwar modernisiert, um sie nicht abschreiben zu müssen, aber nicht auf größere Wafer umgerüstet. Massen-Aufträge für Chips in sehr feinen Strukturbreiten werden hingegen an Foundries in Fernost vergeben.

Aufträge von Bosch, ST und anderen locken

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

Was zunächst nur wie ein Abschied der Europäer aus dem Wettlauf um Spitzentechnologie in der Produktion aussah, hat allerdings auch neue Chancen erzeugt: „Als Mittelständler bekamen wir vor etwa drei Jahren den Auftrag, diese 200-mm-Fabriken von Infineon in Dresden mit Robotertechnik auszustatten und die Prozessabläufe zu automatisieren“, erzählt Ortner-Chef Esser. „Nun will Bosch, dass wir ihre 8-Zoll-Fabrik in Reutlingen, wo Chips für Einspritzsysteme hergestellt werden, auch so automatisieren.“

Mitnahmeeffekte für ganzes Cluster

Ähnlich wie beim legendären Intel-Prinzip „Copy exactly“ (der Branchenprimus überträgt eine stabile Pilotfertigung nahezu 1 zu 1 auf seine großen Fabriken) könne Ortner seine Infineon-Erfahrungen jetzt nutzen, um sehr ähnliche Automatisierungslösungen bei anderen Kunden zu realisieren. Auch ST Microelectronics habe inzwischen Interesse an der Technologie signalisiert, die Ortner im Übrigen zusammen mit Partnerfirmen aus dem Raum Dresden wie „HAP“ und „AIS Automation“ entwickelte, so dass Mitnahmeeffekte für das gesamte Cluster entstehen.

Ortner selbst ist eine Tochter des Solarzellen-Anlagenbauers „Roth & Rau“ aus dem sächsischen Hohenstein-Ernstthal. Das Unternehmen beschäftigt 90 Mitarbeiter in Dresden, 20 in den USA und realisierte im Jahr 2011 einen Umsatz von rund 17 Millionen Euro – unter anderem durch die Großaufträge für den milliardenschweren Fabrikausbau von Globalfoundries in Dresden. Auch dort hatte Ortner für die Automatisierung gesorgt.

Infineon: In Hochlohnland ist Automatisierung ein Muss

Helmut Warnecke. Abb.: Silicon Saxony

Helmut Warnecke. Abb.: Silicon Saxony

„Wir haben diesen Prozess seinerzeit initiiert, denn uns war klar: Wir sitzen hier in einem Hochlohnland und da führt um Automatisierung kein Weg herum“, betont der Dresdner Infineon-Geschäftsführer und „Silicon-Saxony“-Vizepräsident Helmut Warnecke. „Für uns hat sich dies in höherer Produktivität in unseren 200-mm-Modulen ausgezahlt. Und für die Mittelständler im Umfeld zieht das nun neue Aufträge nach sich.“

Es handele sich hier durchaus um „Leading-Edge-Technologie“, also Technologien an vorderster Front. Er gehe davon aus, dass auch andere Besitzer von 150- und 200-mm-Chipfabriken weltweit auf diesen Automatisierungs-Zug noch aufspringen werden, um konkurrenzfähig zu bleiben – selbst solche in ehemaligen Billiglohnländern. Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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