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Europas Mikroelektronik-Haupstädte schmieden Cluster-Allianz

Bereits jetzt setzen einige Flugzeugbauer Leichtbau-Materialien wie Kohlenfaserstoffe ein, die Jets der Zukunft - hier eine Visualisierung von Airbus - werden voraussichtlich noch leichter gebaut. Energieautarke Sensoren sollen die Rissüberwachung übernehmen. Abb.: Airbus

Bereits jetzt setzen einige Flugzeugbauer Leichtbau-Materialien wie Kohlenfaserstoffe ein, die Jets der Zukunft – hier eine Visualisierung von Airbus – werden voraussichtlich noch leichter gebaut. Energieautarke Sensoren sollen die Rissüberwachung übernehmen. Abb.: Airbus

Dresden, 24. September 2012: Europa führende Mikroelektronikstandorte Dresden, Grenoble, Leuven und Eindhoven wollen eine Cluster-Allianz „Silicon Europe“ schmieden, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Halbleiterbranche gegen die Konkurrenz in Amerika und Fernost zu stärken. In diesem Zuge wird auch das sächsische Elektronik-Forschungsprojekt „Cool Silicon“ europaweit ausgedehnt. Das kündigte Heinz Martin Esser, der Vorstand des sächsischen Hightech-Verbandes „Silicon Saxony„, an.

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

„,Cool Silicon‘ hat geholfen, den Standort Dresden und Sachsen technologisch zu verbreitern“, sagte Esser gestern in Dresden, als die Spitzencluster-Tüftler über ihre Fortschritte berichteten. Durch die gemeinsame Forschungsarbeit zum Beispiel an energiegenügsamer Elektronik und autarken Sensornetzen für die Flugzeuge der Zukunft seien die sächsischen Hightech-Firmen mit vielen neuen Branchen in Kontakt gekommen, die Wertschöpfungskette im „Silicon Saxony“ sei umfangreicher geworden. Nun sei es an der Zeit, im europäischen Maßstab zu denken.

Neue Schlüsseltechnologie-Politik der EU und Konzentrationsprozesse in der Halbleiterei

Bereits in den vergangenen ein, zwei Jahren hatte sich ein engeres Zusammenrücken der europäischen Mikroelektronik angebahnt: Einerseits hat die EU-Kommission die Halbleiter-Technik inzwischen offiziell als besonders förderwürdige „Schlüsseltechnologie“ für die gesamte europäische Wirtschaft eingestuft (Wir berichteten).

Andererseits konzentriert sich die arbeitsplatzträchtige Chipproduktion – vor allem seit der großen Branchenkrise 2008/09) – immer mehr auf wenige große Spieler in den USA, Taiwan und Südkorea. Daher wollen Deutsche, Franzosen, Holländer und Belgier ab Anfang Oktober stärker in der Nanoelektronik kooperieren.

Und mit Kooperation haben gerade die Sachsen gute Erfahrungen gemacht: Das insgesamt mit rund 140 Millionen Euro dotierte Verbund-Forschungsprojekt „Cool Silicon“ brachte kleine und große Chipfirmen, Software-Schmieden und Kommunikationsspezialisten in Sachsen zusammen und in Kontakt mit Riesen von auswärts wie Airbus.

Demonstrator eines mit einlaminierten Sensoren versehen Flugzeugflügels von Cool Silicon. Abb.: hw

Demonstrator eines mit einlaminierten Sensoren versehen Flugzeugflügels von Cool Silicon. Abb.: hw

So beteiligt sich der Luftfahrtkonzern am Teilprojekt „Cool SensorNet“. Dort entwickeln Forscher und Industrie-Ingenieure gemeinsamzum Beispiel energieautarke Riss-Erkennungssensoren, die direkt in die Tragflächen künftiger Leichtbau-Jumbos einlaminiert werden sollen. Die nämlich werden, um Kerosin zu sparen, aus leichten Kohlenfaserstoffen gemacht, die allerdings rissanfälliger als Alu oder Stahl sind.

Die Flügel werden daher schon bei der Produktion mit Früherkennungs-Sensoren gespickt, die ein ganzes Flugzeugleben halten müssen – und sich selbst durch die kleinen Zerrbewegungen des Fliegers in der Luft mit Strom versorgen, ganz ohne Kabelsalat.

Koordinator Mikolajick: „Cyber-Physical Systems“ gehört die Zukunft

Thomas Mickolajick. Abb.: Cool Silicon

Thomas Mickolajick. Abb.: Cool Silicon

Solche energieautarken Sensornetze werden künftig noch an Bedeutung gewinnen, ist „Cool Silicon“-Koordinator Prof. Thomas Mikolajick überzeugt: Computertelefone mit Beschleunigungssensoren seien erst der Anfang, glaubt er. Die Zukunft gehöre den „Cyber-physischen Systemen“, in denen unzählige Sensoren und Prozessoren via Internet mobile Geräte wie Handys, Autos oder Senioren-Assistenzsysteme vernetzen – und diese Verbünde dürfen den globalen Stromverbrauch natürlich nicht in astronomische Höhen treiben.

Auch andere „Cool Silicon“-Projekte sind für Branchengrößen hochinteressant: Die „Cool Base Stations“ beispielsweise, die Rechenkraft und Stromverbrauch in Handynetz-Sendern selbstständig herunterfahren, wenn nur wenig telefoniert wird. „Diesedynamischen Leistungsverstärker regeln die Sendeleistung auf das unbedingt notwendige Maß“, erklärte Mikolajick. Er hält Energie-Ersparnisse von bis zu 50 Prozent damit für möglich – und den Einsatz zum Beispiel auch für WLAN-Stationen.

„Hi-K-Metal-Gate“-Design für Globalfoundries

Testwafer von Globalfoundries mit 28-Nanometer-Chips. Abb.: hw

Testwafer von Globalfoundries mit 28-Nanometer-Chips. Abb.: hw

Und die Leckstrom-Sperrtechnik „Hi-K Metal Gate“, die der Chip-Auftragsfertiger „Globalfoundries“ für seine neuesten Prozessoren einsetzt, wurde im „Cool Silicon“-Verbund mitentwickelt. Diese Sperrschichten können die auftretenden Leckströme im Chip um – je nach Transistor-Design – um den Faktor 200 bis 1000 senken. Dies wiederum reduziert die Verlustwärme und damit de Kühlaufwand von Prozessoren. In Notebooks oder Tablets eingebaut, sollen um bis zu ein Drittel längere Akku-Laufzeiten mit diesen Chips drin sein.

„iBit-Computing“ geht ganz neue Wege der Informationsverarbeitung

Ein Spezialprojekt widmet sich außerdem einer Alternative zur Grundarchitektur aller heutigen PCs, der Von-Neumann-Architektur: Im sogenannten „iBit Computing“ sollen Rechner komplexe Informationen wie etwa eine Banane oder ein Milchkarton, der durch die Supermarkt-Kasse gezogen wird, nicht mehr in Nullen und Einsen, also einzelne Bits, zerlegen, sondern nur noch Adressen verarbeiten, die auf die Datensätze hinweisen. Der Prozessor muss sich dann nicht mehr mit Kodierung und Dekodierung von Außenwelt-Informationen in „seine“ Sprache abmühen – ein Großteil der Rechenarbeit erfolgt dann über direkte Speicherzugriffe.

„Es handelt sich bei iBit-Computing um eine neue Art der Datenverarbeitung“, betont Projektkoordinator Mikolajick. Ein radikaler Umbau der Computer-Hardware schwebt „Cool Silicon“ allerdings nur in ferner Zukunft vor: Vorerst wollen die Forscher diese Technik als Software-Lösung in Datenbanken anbieten. Heiko Weckbrodt

Kurzporträt „Cool Silicon“

– Der Projektname steht für kühles Silizium und steht für das Ziel, möglichst wenig Strom in Computerchips als Verlustwärme zu verpulvern.
– Es gibt drei Schwerpunkt-Komplexe: „Cool Computing“ soll vor allem den Energieverbrauch von PC- und Server-Prozessoren um 30 Prozent senken. „Cool Base Stations“ zielt auf Funk-Basisstationen, die ihren Energieverbrauch je nach Last flexibel selbst herunterregeln. Im „Cool Sensor Net“ schließlich werden energieautarke Sensoren entwickelt, die helfen soll, den Kerosinverbrauch bei einem Atlantikflug um ein Viertel zu senken.
– Projektlaufzeit: 2009-2014
– Das Gesamtbudget von 140 Millionen Euro setzt sich aus 40 Millionen Euro vom Bund, 30 Millionen Euro vom Freistaat Sachsen und knapp 70 Millionen Euro aus der Industrie zusammen.
– Beteiligt sind 69 Industriepartner, zehn Forschungsinstitute und 21 Hochschulen.
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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