Interessanter, aber nur mäßig spannender Verschwörungskrimi
Einen seit Jahrzehnten glühenden Krisenherd packt Bestseller-Autor Frank Schätzing in seinem neuen Krimi „Breaking News“ an: den Nahost-Konflikt zwischen Israel und dessen arabischen Nachbarn in all seinen Facetten. Der fast 1000-seitige Wälzer wird zwar erst spät spannend. Doch wer nicht zu ungeduldig ist, wird mit einem interessanten Abriss über eine Dauerkrise belohnt, deren Feinheiten und verwickelten Motivlagen in der Tagesberichterstattung fast stets untergehen.
Langer Bogen von 1929 bis in die Gegenwart
Schätzing wickelt diese Mammutaufgabe in zwei Erzählebenen ab, die sich chronologisch nach und nach nähern: Die eine setzt 2008 mit dem Hamburger Starjournalisten Tom Hagen ein, der bei einer Geiselbefreiung in Afghanistan alles versaut, was zu versauen ist, tief stürzt und sich danach für ein zweitklassiges Online-Magazin durch die arabischen Krisenherde der Levante säuft – bis er schließlich in Israel in eine Verschwörung stolpert, die bis in die höchsten Kreise des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet wuchert. Viel Raum räumt Schätzing parallel dazu aber einer Generationenerzählung ein: Wie die jüdischen Familien Kahn und Scheinermann ins gelobte Land ziehen, in Palästina siedeln, die Gründung des Staates Israel miterleben, den Sechs-Tage-Krieg, Besiedlung und Räumung der Sinai-Halbinsel und des Gaza-Streifens – und wie auch Arik Scheinermann Ariel Scharon wird, der Hardliner, der Pragmatiker, der Kriegstreiber und Friedensstifter.
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Balance zwischen Story und Einschüben verloren
Und in diesem langen Zirkel über vier Generationen hinweg, der sich von 1929 bis in die Gegenwart erstreckt, liegt auch die dramaturgische Schwäche von Schätzings neuem Buch: Schon seine früheren Werke wie „Der Schwarm“ oder „Limit“ waren mit langen, langen Erkläreinschüben gestreckt, wie man sie eher in populärwissenschaftlichen Anhandlungen erwartet, aber hielten noch einigermaßen die Balance zwischen Krimi und „Ich will Euch was erklären“. In „Breaking News“ verliert der Autor dieses Maß leider zusehens, zitiert Originaldokumente und schweift in wahre Lexikonartikel ab, treibt indes seine Story kaum voran, die sich erst nach der Hälfte des Buches überhaupt zu etwas Thriller-Artigen zu bedichten beginnt. Darunter leidet natürlich die Spannung sehr, literarisch kann man „Breaking News“ kaum anders als fehlgeschlagen bezeichnen.
Verschlungene Motivlagen für Blutspirale
Schätzing wäre gut beraten gewesen, hier gleich von vornherein auf das eBuch-Format zu setzen und all die – sicher wichtigen – Hintergrundinformationen über Israels Genese und Geschichte in weiterführende Links zu packen, und dafür den Lesefluss stark zu straffen. Denn andererseits sind es natürlich gerade die Nuancen in der Mentalität zugewanderter Juden und arabischer Palästinenser, das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, die verhängnisvollen Vergeltungsspiralen auf beiden Seiten, auch das unehrliche Lavieren der britischen Mandatsmacht, die erst wirklich Bomben, Tod und Hass in Nahost und die Motive der Verschwörer in der „Hagen“-Erzählebene – verständlich für den gemeinen Mitteleuropäer machen. Da schlägt sich Schätzing zwar für meinen Geschmack etwas zu sehr auf die Seite der Israelis, versucht aber sichtlich, allen Perspektiven irgendwie gerecht zu werden.
Fazit: Dramaturgisch misslungener, aber komplexer Blick auf Israel
Literarisch ist Schätzings neues Werk eher misslungen, weder Fisch noch Fleisch, und auf keinen Fall durchgehend spannend. Wer sich freilich für Zeitgeschichte interessiert, dürfte durch „Breaking News“ durchaus neue, komplexere Blicke auf die scheinbar ewige Blutsfehde im Nahen Osten gewinnen – genug Geduld vorausgesetzt, lohnt sich insofern die Lektüre doch wieder. Autor: Heiko Weckbrodt
Frank Schätzing: „Breaking News“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 976 Seiten, ISBN: 978-3-462-04527-7, gebunden 27 Euro, eBuch 22 Euro Leseprobe hier:Ihre Unterstützung für Oiger.de!
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