Forschung, Geschichte, News
Schreibe einen Kommentar

Ein Stasi-Mann auf 60 Bürger: DDR war durchherrscht wie kaum ein anderes Land

Er liebte uns alle: Erich Mielke, von 1957 bis 1989 Stasi-Minister. Abb.: R. Mittelstädt, BA, Wikipedia

Erich Mielke, von 1957 bis 1989 Stasi-Minister. Abb.: R. Mittelstädt, BA, Wikipedia

Dresdner HAIT-Institutschef Heydemann sieht noch viel Forschungsbedarf in DDR-Geschichte

Dresden, 29. Juli 2014: In den 25 Jahre nach der Wende ist schon viel über die DDR öffentlich erzählt, verfilmt und geschrieben worden – für manchen bis hin zum Überdruss. Doch ausreichend erforscht sind der ostdeutsche Partei-Staat und dessen gesellschaftliche und wirtschaftliche Besonderheiten noch nicht, stellt Günther Heydemann fest, der Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT). „Viele mögen glauben, dass zur DDR alles gesagt sei – doch das ist ein Trugschluss“, meint Heydemann.

Treuhand teils zu unrecht ausgebuht

Prof. Günther Heydemann. Foto. HAIT

Prof. Günther Heydemann. Foto. HAIT

So seien mikro- und makroökonomische Mechanismen der ostdeutschen Zentralverwaltungswirtschaft noch unzureichend durchdrungen, etwa anhand von ausreichend Fallbeispielen aus staatlichen VEBs. Auch sei es wichtig, genauer die Besonderheiten im Transformationsprozess der DDR-Wirtschaft hin zur heutigen marktwirtschaftlichen Ordnung und speziell auch die Rolle der Treuhandanstalt unter die Lupe zu nehmen. „Die Treuhand hat eine große Menge Arbeitsplätze abgewickelt und ist dafür scharf kritisiert worden“, meint Heydemann. „Aber sie hat auch neue, international wettbewerbsfähige Industriestrukturen geschaffen. Dass Sachsen wirtschaftlich heute so gut dasteht, ist auch ein Verdienst der Treuhand.“ Das HAIT wird nächstes Jahr einen Sammelband mit neuesten Untersuchungen zur Wirtschaftsentwicklung in der SBZ/DDR und den neuen Bundesländern herausbringen.

Totalitarismus war Anspruch, kein Zustand

Weitere wissenschaftliche Erkenntnisse erhoffen sich die HAIT-Forscher aber auch von einem Vergleich des „Durchherrschungsgrades“ in der DDR und in anderen totalitären Staaten damals und heute. Dieser Fachbegriff hat durch die Weiterentwicklung der Totalitarismus-Theorien von Hannah Arendt, nach der das Institut benannt ist, immer mehr an Bedeutung gewonnen. Denn von einem „totalitären“ Staat zu sprechen, impliziert die Vorstellung, solch ein Regime würde alle Bürger, mithin die gesamte Gesellschaft, tatsächlich „total“ beherrschen und dirigieren. In der Praxis aber ist dies weder den Nationalsozialisten im „Dritten Reich“ noch den Kommunisten in der DDR oder anderen Regimen auf ideologischem Fundament (= „Ideokratien“) gelungen. „Insofern ist Totalitarismus immer nur ein in unterschiedlichem Maße erfolgreicher Anspruch gewesen, die Massen und den Einzelnen völlig zu erfassen“, konstatiert der 64-jährige Historiker. Und dieser „Erfolg“ lässt sich eben am jeweiligen „Durchherrschungsgrad“ genauer erfassen.

Selbst in SU und Nazi-Deutschland wurde nicht soviel gespitzelt wie in der DDR

Spontan würden wohl Laien wie auch manche Historiker annehmen, dass dieser Durchherrschungsgrad zum Beispiel in der NS-Diktatur oder in der Sowjetunion höher gewesen sei als unter den – als vergleichsweise gemäßigt geltenden – ostdeutschen Kommunisten. Aber wie Untersuchungen des Historikers Jens Gieseke schon vor Jahren gezeigt haben, war er – zumindest gemessen an der Geheimpolizei-Dichte – in der DDR weit überdurchschnittlich: Bei zuletzt rund 91.000 hauptamtlichen und etwa 173.000 inoffiziellen Mitarbeitern kamen hier auf einen Profi-Geheimpolizisten im Schnitt 180 Bürger – rechnet man noch das Spitzelheer dazu, kommt man sogar auf ein Verhältnis von 1 zu 61. In der ČSSR dagegen lag die Schlapphut-Quote „nur“ bei 1 zu 350, in Polen bei 1 zu 750 und in der großflächigen Sowjetunion gar lediglich bei 1 zu 1000. In Nazi-Deutschland kamen auf einen Gestapo-Mann sogar 10.500 Deutsche. Allerdings ist hier in Rechnung zu stellen, dass die NS-Gesellschaft sich durch Denunziationen weit stärker selbst überwachte als die Menschen in der DDR. Nicht selten waren zudem in der NS-Diktatur die Folgen für einen bespitzelten Regimegegner dramatischer als in den kommunistischen Regimen der Post-Stalin-Ära, obwohl es auch dort zu nicht wenigen Opfern gekommen ist.

„Dass der SED-Staat und seine Stasi ein solch einzigartig dichtes Netz von Geheimpolizisten über seine Bürger gespannt hat, dürfte wohl auch daran gelegen haben, dass eine importierte Diktatur nach sowjetischem Muster aufgebaut wurde, die von Anfang an Akzeptanzprobleme hatte“, meint Heydemann. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

Schreibe einen Kommentar