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Grillen kämpfen auf Punktsieg

Eine kampfbereite Grille. Foto: Jan Rillich, FU Berlin

Eine kampfbereite Grille.
Foto: Jan Rillich, FU Berlin

Leipziger Forscher entdeckt stickstoff-gesteuertes Kampfrechnungs-System bei Insekten

Leipzig, 17. März 2015: Grillen gelten als geborene Kämpfernaturen, in China sind organisierte Grillen-Duelle seit alters her öffentliches Spektakel, auf die mancher Zuschauer hohe Summen verwettet. Das Verblüffende daran: Oft treten sogar blinde oder verstümmelte Grillen mit größter Aggressivität gegen sichtlich stärkere Artgenossen an – und gewinnen teilweise sogar. Dabei spielt eine Art Kampf auf Punktsieg eine große Rolle: Die Kontrahenten „berechnen“ anscheinend den Saldo aus Schlägen und Drohgebärden, die sie selbst austeilen können gegen das, was sie für einsteckbar halten. Ein enzym- und stickstoffgestütztes Steuersystem befähigt selbst diese Tiere ohne höheres Nervensystem zu solchen Punkt-Rechnungen, hat jetzt ein Forscherteam um den Neurobiologen Paul Stevenson von der Universität Leipzig herausbekommen.

Jedes Negativerlebnis treibt Stickstoff im Körper langsam hoch

„Entscheidend für den Ausgang eines Kampfes ist nicht unbedingt, ob eine Grille wirklich stärker ist als ihr Kontrahent – sondern wie viel der bereit ist einzustecken“, erklärt Stevenson das System. „Selbst eine Grille, die blind ist oder ihre kräftigen Mandibeln, ihre Mundwerkzeuge, nicht benutzen kann, tritt zum Kampf an. Und ihr scheinbar klar überlegener Gegner gibt oft auf, ohne ersichtlichen Grund.“ Im Grillenkörper werde bei jedem Negativerlebnis ein Enzym aktiviert, das wiederum ein Gas freisetze: Stickoxid. „Dieser Botenstoff macht Tiere weniger aggressiv, auch bei Säugetieren ist das so“, erläuterte der Forscher. Sammele sich während eines Kampfes zuviel Stickstoff im Körper an, wisse die Grille gewissermaßen: Okay, ich hab genug – Zeit aufzugeben.

Paul Stevenson. Foto: privat

Paul Stevenson. Foto: privat

Stickstoff-enthemmte Grillen kämpfen immer weiter

Für ihre Experimente hatten Paul Stevenson und sein Ko-Autor Dr. Jan Rillich von der Freien Universität Berlin künstlich die Stickstoff-Freisetzung in ihren Insekten blockiert und dabei zum Beispiel festgestellt, dass dann selbst hoffnungslos unterlegene Grillen erbarmungslos weiterkämpfen. Sie fragen sich nun, ob und in welchem Maße solche recht simplen biochemischen Mechanismen auch bei höheren Tieren oder gar beim Menschen das Kampfverhalten steuern. Möglicherweise könnten diese Forschungen letztlich zu neuen Behandlungsansätzen bei posttraumatischen Belastungen führen. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt