Wirtschaft

Dresden richtet sich stärker auf Multifunktions-Chips und Software aus

Blick in den Reinraum

Blick in den Reinraum

Branchenverband Silicon Saxony sieht hier gute Chancen, weltweit zu punkten

Dresden, 12. Juni 2015. Der sächsische Hightechverband „Silicon Saxony“ hält die Neuausrichtung des Wirtschaftsstandortes Dresden auf komplexe Multifunktions-Mikroelektronik, die Sensoren, Wandler, 5G-Funkmodule, digitale und analoge Schaltkreise kombiniere, sowie auf industrienahe Software-Entwicklungen für einen sinnvollen Pfad, um sich künftig im weltweiten Wettbewerb hervorzuheben. Das Profil der hier konzentrierten Halbleiter-Unternehmen, die neueren Entwicklungsrichtungen der Dresdner Fraunhofer-Institute und auch der TU würden da gut zusammenpassen und könnten zu sehr wettbewerbsfähigen Produkten führen, schätzte „Silicon Saxony“-Präsident Heinz Martin Esser im Oiger-Gespräch ein.

Globalfoundries Dresden hält für Cluster Tür zur Höchstintegration offen

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

Zugleich dürfe man aber die Stoßrichtung hin zu immer höher integrierten und schnellen Prozessoren und Speichern nicht völlig aus den Augen verlieren. Denn Dresden gehöre – neben den irischen Intel-Fabriken und den STM-Werken in Westeuropa – zu den ganz wenigen Standorten in Europa, in denen diese Entwicklungsrichtung der Mikro- und Nanoelektronik noch verfolgt werde. Da sei vor allem an die Dresdner Fabs von Globalfoundries zu denken, weltweit immerhin der drittgrößte Chip-Auftragsfertiger, der zum Beispiel Prozessoren und andere Schaltkreise auf höchstem Technologie-Niveau für AMD, Infineon und andere Branchengrößen herstellt – und der per Fertigungsauftrag auch für mittlere oder sogar kleinere regionale Hightech-Firmen die Tür zu modersten Halbleitertechniken offenhält. Inzwischen gilt es zudem als offenes Geheimnis, das das US-Unternehmen in Dresden demnächst größere Investitionen für eine neue Technologiestufe verkünden wird.

Eine Fraunhofer-Mitarbeiterin zeigt im Reinraum einen 300-mm-Wafer (l.) und eine 450er Scheibe im Vergleich. Abb.: Fraunhofer IISB

Eine Fraunhofer-Mitarbeiterin zeigt im Reinraum einen 300-mm-Wafer (r.) und eine 450er Scheibe im Vergleich. Abb.: Fraunhofer IISB

Auch 450-mm-Projekt wabert noch im Hintergrund

Und so ganz verabschiedet haben sich die sächsischen Halbleiter-Lobbyisten auch noch nicht von dem Wunsch, Europas erste Fabrik, die Chips irgendwann einmal auf 450 statt 300 Millimeter großen Siliziumscheiben herstellen soll, möglicherweise gar in der neuen Röntgen-Belichtungstechnik EUV, vielleicht doch noch in Dresden anzusiedeln. Allerdings ist dieser Technologiesprung angesichts der extrem hohen Investitionskosten und der Fortschritte traditioneller Technologiepfade derzeit etwas in den Hintergrund gerückt.

Neues Leistungszentrum von Fraunhofer fokussiert sich auch eher auf Multifunktions-Elektronik

Dementsprechend konzentrieren sich auch die neueren Projekte der Fraunhofer-Gesellschaft (FHG) in Dresden eher auf den anderen Technologieweg, eben immer mehr Funktionen in einzelne Chips zu integrieren, statt mit immensem Kapitalaufwand immer neuen Tempo- und Verkleinerungs-Rekorden nachzujagen. Darauf ist auch das neue Nationale Leistungszentrum für Mikro- und Nanoelektronik ausgerichtet, das FHG-Präsident Reimund Neugebauer in wenigen Tagen in Dresden eröffnen will. Das wird nach unseren Informationen vorerst von der FHG und dem Freistaat auch nur mit vergleichsweise wenig Startkapital ausgestattet, soll aber in den Folgejahren durch Fördergeld-Akquise bei Bund, Land und EU wachsen.

Globalfoundries: FHG-Projekt stärkt Standort – und das ist auch gut für uns

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Auch Globalfoundries Dresden kann mit dieser Marschrichtung leben: „Alles, was den Standort Dresden stärkt, ist auch gut für uns“, betonte Sprecher Jens Drews. Er rechne damit, dass durch das neue Leistungszentrum – das an das Fraunhofer-Photonikinstitut IPMS in Dresden-Klotzsche angedockt wird – auch die Bedeutung der IPMS-Abteilung „CNT“ wieder wachsen wird.

Traum vom Spiel in der Intel-Liga weitgehend ausgeträumt

Dieses CNT war ursprünglich als Zentrum für Nanoelektroniktechnologien mit einer Startkapitalisierung in ganz anderen Größenordnungen – nämlich 86 Millionen Euro – im Jahr 2005 als eigenständige Forschungseinrichtung gestartet, als man in Deutschland noch glaubte, in einer Liga mit Intel, Samsung & Co. mitspielen zu können. Doch die Forschungsrichtung gen Höchstintegration war nach der Qimonda-Pleite 2009 nicht mehr zu halten. Zeitweise liebäugelte die FHG sogar mit einer Schließung. Vor allem durch die Intervention von Globalfoundries wurde dies dann so umgebogen, dass das CNT als – verkleinerte – Abteilung in das Photonikinstitut IPMS integriert und neu ausgerichtet wurde.

Industrienahe Software als zweiter Fokus

Als eine zweite Marschrichtung für den Standort Dresden sehen viele Branchenkenner die Software-Entwicklung an – allerdings nicht für Apps und Endkunden-Programme wie etwa in Berlin, sondern eher für den Industriebedarf. In diesem Segment boome die Softwarebranche in Dresden derzeit, schätzte „Silicon Saxony“-Vizepräsidentin Gitta Haupold ein.

Der neue Supercomputer der TU Dresden. Im hochabgesicherten Server-Raum ist noch viel Platz für Erweiterungen. Foto: Heiko Weckbrodt

Die TU Dresden hat kürzlich Sachsens schnellsten Supercomputer eingeschaltet – und der könnte die Chancen Dresdens auf den Zuschlag für das geplante zentrale Software-Zentrum und auch für neue Exzellenz-Gelder des Bundes verbessern. Foto: Heiko Weckbrodt

Zudem hat die sächsische CDU-SPD-Koalition angekündigt, im Freistaat ein Zentrum für Softwareentwicklung zu etablieren, das mindestens nationale Bedeutung und Ausstrahlung erlangen soll. Ein konkreter Ort steht zwar noch nicht fest. Vieles spricht aber dafür, dass dieses Software-Zentrum mehrere Standorte haben wird, wobei hier Dresden und Chemnitz, vielleicht auch Leipzig und Mittweida in der engeren Wahl stehen dürften. Als mögliche Schwerpunkte sehen Silicon Saxony, die TU Dresden, aber auch Vertreter von Bund und Land zum Beispiel neue Programmentwicklungen für die Verarbeitung großer Datenmengen („Big Data“) für den nächsten großen Automatisierungs- und Vernetzungsschub in Fabriken („Industrie 4.0“) sowie für das sogenannte „Internet der Dinge“, also die massenhafte Vernetzung zum Beispiel von Computertelefonen, Autos, intelligenten Klamotten und Uhren. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt