Architekten führen durch 92 besondere Häuser in Sachsen
Dresden, 22. Juni 2015. Unter der Devise „Architektur hat Bestand“ öffnen die Eigentümer von 92 öffentlichen und privaten Gebäuden in Sachsen am 27. Und 28. Juni 2015 zum diesjährigen „Tag der Architektur“ ihre Türen für neugierige Besucher. Die können beispielsweise das inzwischen teilsanierte DVB-Hochhaus in Dresden, das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie in Leipzig, das ehemalige Kaufhaus Schocken in Chemnitz oder auch das historische Gebäude-Ensemble der Deutschen Werkstätten Hellerau besichtigen. Und mit den Architekten, Landschaftsarchitekten, Innenarchitekten und Stadtplanern ins Gespräch kommen, um mit ihnen zu diskutieren, ob und wie sich architektonische Entwürfe „vor der Zeit, dieser unbarmherzigen Richterin alles Irdischen“ behaupten können, wie es Alf Furkert, der Präsident der Architektenkammer Sachsen, formuliert.
Einer von ihnen ist der Dresdner Architekt Ludger Kilian, der gemeinsam mit den „mmk-Architekten“ den Umbau des denkmalgeschützten „Haus Altmarkt“ in Dresdens Stadtmitte konzipierte. Eine „echte Herausforderung“, wie er selbst sagt.
Beispiel „Haus Altmarkt“: Vom Wohnlabyrinth zum Hotel
Die Hotelflure sind verwinkelt in dem 1957 als Wohnkomplex am Dresdner Altmarkt entstandenen Gebäude – ein wenig fühlt man sich an die trickreiche Bauweise von Gefängnis-Architekten erinnert, die Gänge noch im 19. Jahrhundert absichtlich besonders unübersichtlich und labyrinthisch planten, um mögliche Ausbrecher in die Irre zu führen. „Eine der Auflagen vom Denkmalschutz an uns war, die ursprünglichen Gebäudestrukturen und Raumaufteilungen, die für eine Wohnnutzung gedacht waren, weitestgehend beizubehalten“, erzählt Ludger Kilian, während er den Besucher im Zickzack-Kurs durch das Hotel führt. Mehrere frühere Anläufe für eine neue Nutzung seien an eben diesen anspruchsvollen Auflagen gescheitert. Bis eben zum 14,5 Millionen Euro teuren Umbau ab dem Herbst 2013 für die „Berlinhaus Verwaltung GmbH“, die den Komplex dann im Februar 2015 an die „Star Inn“-Hotelbetreiber übergab.
Nostalgische Details wie Schiebetüren in „Suiten“ erhalten
Und läuft man die Stockwerke ab, erkennt man auch rasch, wo die Probleme lagen: Was früher ein Wohnungsflur war, musste zu einem langen Gang erweitert, ganze Treppenhäuser und Fahrstühle, die früher nur zu ausgewählten Etagen führten, umstrukturiert werden – und dabei wollten die Architekten eben auch Details der früheren Wohnungen erhalten. „Normalerweise haben Drei-Sterne-Hotels wie dieses zum Beispiel keine Suiten“, erklärt Ludger Kilian, während er eine dieser ehemaligen Wohnungen per Chip-Karte aufschließt. „Wir haben es den Hotelleuten dann die Idee schmackhaft gemacht, das als Doppelzimmer für Familien anzubieten.“ Und in einer dieser „Suiten“ sieht man dann auch Relikte, die wahrscheinlich tatsächlich noch aus den 1950er Jahren stammen, als das „Haus Altmarkt“ in den oberen Etagen durchweg fürs Wohnen gedacht war: Eine jener grauen, holz-gläsernen Doppelschiebetüren jener Zeit trennt die beiden Räume.
Nach außen Prunk, innen hart auf Kante geplant
An anderen Stellen mussten Architekten und Bauarbeiter ohnehin aufpassen wie die Luchse, dass sie bloß nicht zu viel Neues hinzufügten. „Außen, vor allem an der Fassade, aber auch in den öffentlichen Bereichen wie im Foyer und im Tanzsaal, wurden damals recht aufwendige Materialien verbaut und alles sah großzügig aus“, sinniert der Architekt. „Doch innen wurde hart auf Kante geplant.“ Die in den 1950er Jahren eingezogenen „Menzel L“-Decken zwischen den Wohnungen zum Beispiel waren statisch so geplant, dass die die damalige Nutzungs- und Gebäude-Last gerade so tragen konnten. „Wir konnten da noch nicht einmal Gipskarton-Zwischenwände mehr darüber einziehen, obwohl die schon so leicht sind“, erinnert sich Kilian.
Zeugnis des repräsentativen Nachkriegs-Baustils der DDR
Der gesamte Gebäudekomplex an der Ostseite des Dresdner Altmarkts wird ungeachtet solcher versteckten Schwächen heute als wichtiges Zeugnis des sozialistischen Nachkriegs-Baustils in der DDR eingestuft, der sich nahe an Stalins „Zuckerbäcker“-Architektur bewegte. Deshalb steht auch das gesamte Karree unter Denkmalschutz. Die östlichen Teile beherbergen bis heute Wohnungen, andere Segmente werden gastronomisch genutzt, zum Beispiel durch die Schnellimbisskette „McDonalds“. Das inzwischen von Kilian und mmk-Architekten umgebaute Viertel, das in Richtung Altmarkt und Kulturpalast weist, beherbergte nach der Wende zeitweise eine Disko und eines der ersten chinesischen Restaurants in Dresden.
Im Tanzsaal hat’s sich ausgetanzt
Im ehemaligen großen Saal im Obergeschoss hat es sich allerdings nun wohl endgültig ausgetanzt: Er wurde in Tagungsräume unterteilt. Dort, wo früher die jungen Damen auf einer Art Empore mit Blick auf den Altmarkt zur einen und zur Tanzfläche zu anderen Seite saßen und darauf warteten, zum Tanze aufgefordert zu werden, harren jetzt Buffets hungriger Geschäftsreisender, liegen jetzt Geschäftsprospekte und Kongressunterlagen aus. Der besondere Blick nach draußen, zum Altmarkt, zum ehemaligen Café Prag auf der anderen Seite, zu Kulturpalast und Neumarkt, vermag Tagungsbesucher bei einem vielleicht besonders langweiligen Referat immer noch abzulenken – ein Anblick, der dem aufmerksamen Beobachter beides zeigt: Das, was bis heute architektonisch Bestand hat, und all das, was die Bauherren und Stadtplaner ringsum in Jahrzehnten hinzugefügt haben. Autor: Heiko Weckbrodt
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