Dresden-Lokales

Nun komme ich doch noch in den Knast

Restaurieren macht ihm besonders Spaß: Insasse Jörg H. in der Gefängniswerkstatt am Hammerweg in Dresden. Foto: Peter Weckbrodt

Restaurieren macht ihm besonders Spaß: Insasse Jörg H. in der Gefängniswerkstatt am Hammerweg in Dresden. Foto: Peter Weckbrodt

Im Gefängnis am Dresdner Hammerweg restaurieren die Sträflinge einen historischen Schnellzug-Wagen – wir haben „im Bau“ zugeguckt

Dresden, 2. Juli 2015. Ich komme dem Knast immer näher. Und es überrascht mich doch, wie wenig die Strafvollzugsanstalt Dresden auf dem Hammerweg meinen durch lebenslangen Krimi-Konsum geprägten Vorstellungen entspricht. Ja, da ist die lange, parallel zur Zufahrtsstraße verlaufende schwer überwindbare Mauer. Ich sehe Überwachungskameras, die gehören aber inzwischen schon zum Stadtbild. Viel mehr aber kann ich nicht entdecken. Wo sind die alle anderen Bauwerke überragenden Wachtürme, besetzt mit schwerbewaffneten Scharfschützen? Wo die Stacheldrahtverhaue, die nachts das ganze Gelände in gleißendes Licht versetzenden Scheinwerferbatterien? Nichts von alledem, oder nur gut getarnt.

Das Smartphone bin ich als erstes los

Ich halte mich mit diesen Fragen nicht unnötig auf, marschiere betont zielstrebig und selbstbewusst zur Eingangstür. Ziehen oder drücken ist hier sinnlos. Ein kurzes Warten, dann öffnet sie sich. Ich gebe dem „Pförtner“ mein Anliegen bekannt und bitte ihn, Herrn Herre, den Leiter der Arbeitsverwaltung, zu verständigen – ich bin angemeldet. Weil abgefordert, gebe ich derweil Personalausweis und Smartphone ab. Meine Umhängetasche kann ich behalten. Die von mir erwartete Frage nach deren Inhalt bleibt aus. Immerhin habe ich für den Fall, dass ich doch irgendwo ein klitzekleines Foto „schießen“ darf, meinen Fotoapparat mitgebracht. Na gut, ich muss den Wächtern meine Kamera ja nicht unbedingt auf die Nase binden.

 

Nachschub für den Knast? Für wieviel Jahre schließen sich nun die Zellentüren? Die streng bewachte Pforte am Gefängnis Dresden. Foto: Peter Weckbrodt

Nachschub für den Knast? Für wieviel Jahre schließen sich nun die Zellentüren? Die streng bewachte Pforte am Gefängnis Dresden. Foto: Peter Weckbrodt

Wie ein Elender im Steinbruch kloppen?

Während ich warte, schweift mein Blick durch gläserne Wandvitrinen. Ich staune. Da hängt ein komplettes Leistungsangebot der Eigenbetriebe der JVA Dresden. Was eigentlich im Knast gearbeitet wird, ist mir bisher noch unklar. Da sind diese Erinnerungen an Erwachsenen-Sprüche aus Kindheitstagen: „Der hat 12 Jahre Tütenkleben bekommen.“ Oder Jean Gabin als Sträfling Jean Valjean in Hugos „Elenden“: Mörderische Arbeit im Steinbruch mit der Minimalchance, von dort fliehen zu können. Kino und Fernsehen haben eben mein Bild vom Knast gemalt.

Der Knast am Hammerweg Dresden Quelle: Google Earth

Der Knast am Hammerweg Dresden Quelle: Google Earth

Frischfleisch statt geklebte Tüten

Und nun wird hier der Produktionsumfang einer kompletten Bäckerei vorgestellt, vorrangig gedacht für die Küchen der Justizvollzugsanstalten (beachten Sie hier den verwendeten Plural!). Die Fleischerei bietet grob zerlegte Schweine- und Rinderfleischteile an, außerdem die Herstellung von ca. 45 Wurstsorten und von Frischfleisch für etwa 25 Fleischgerichte. Geklebte Tüten sind nicht im Angebot. Auch eine Gefängnis-Tischlerei preist ihre hölzerne Leistungskraft, daneben Polsterei, Wäscherei, eine Autowerkstatt gar und selbst Gärtner sitzen hier offensichtlich ein. Und da: die Schlosserei. Da will ich hin.

Der Herr Regierungsamtmann Jürgen Herre kommt anmarschiert. Wir machen uns recht zwanglos bekannt. Wir marschieren über das, was wohl der Gefängnishof sein dürfte. Überraschung pur bei mir, weil auch hier sind keine kraftstrotzenden, waffenbehängten Wachmannschaften in exponierter Lage zu sehen. Die nächste Tür öffnet mein Gastgeber problemlos mit seinem Schlüssel, keine nochmalige Kontrolle. Ich warte immer noch darauf, abgetastet zu werden. Doch nix da.

Endlose Korridore, fensterlose Gänge

Wir passieren endlose fensterlose Korridore. Ja, der verlaufe parallel zur Außenmauer, bestätigt mir der für das Schaffen im Knast Verantwortliche. Türen links und rechts vom Gang. Anscheinend keine Zellentüren. Wer oder was dort logiert, kann ich im Vorwärtseilen nicht erkennen.

Bahn-Fans lassen Wagen denkmalgerecht sanieren – im Knast

Dann sind wir am Ziel, an der Schlosserwerkstatt. Herre macht mich mit Werkstattleiter Hans-Jörg Weber bekannt. Ich brauche ihm nicht mehr viel zu meinem Anliegen zu erklären, wir haben das bereits vorab fernmündlich besprochen. Es geht mir um Aufträge, die durch die JVA-Werkstatt für die Dresdner „Initiative Sächsische Eisenbahngeschichte“, die ISGE, erledigt werden. Die ISGE beabsichtigt, einen historischen sächsischen Schnellzugwagen, den sie im erbarmungswürdigen Zustand aus Schwarzenberg nach Dresden überführt hat, denkmalgerecht sanieren, zu neuem Glanz verhelfen.

Das war der Anfang: in einem desolaten Zustand kam der 1909 in Bautzen gebaute sächsische Schnellzugwagen nach Dresden. Foto: Peter Weckbrodt

Das war der Anfang: in einem desolaten Zustand kam der 1909 in Bautzen gebaute sächsische Schnellzugwagen nach Dresden. Foto: Peter Weckbrodt

Weber bestätigt mir, dass seine Werkstatt bereits im April und Juni solche Aufträge für die Eisenbahn-Enthusiasten durchgeführt und abgeliefert hat. Es waren über zwei Dutzend Metallteile des Wagens in ganz unterschiedlicher Größe, die sorgfältig entrostet, grundiert und anschließend mit einer Grundlackierung überzogen wurden. Vor allem Winkel und Verstrebungen. Die geben dem Wagenkasten den notwendigen Halt, wie es vor 100 Jahren in der damals üblichen Holz-Stahl-Gemischbauweise usus war. Das hatte mir ISGE-Vereinsvize André Marks bereits erklärt. Auch Halter für die Zugschlusslaternen seien dabei gewesen. Marks ist froh, mit der JVA einen neuen guten Partner gefunden zu haben. Früher hatten die Bahnfans solche Arbeiten vom Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerk (SUFW) erledigen lassen. Doch weil dem die Langzeitarbeitslosen ausgegangen sind, ist der Schnellzugwagen nun im Gefängnis gelandet.

Auch jetzt arbeiten „seine“ Häftlinge wieder Teile für Marks auf, bestätigt mir der Werkstattleiter. Es seien Beschläge, Rahmenteile, auch stark verrostete Verschraubungen. Die Werkstatt ist von Montag bis Freitag von 6.45 bis 15 Uhr besetzt. Vom leicht erhöht angeordneten Chefbüro habe ich durch die großzügige Verglasung fast einen Rundumblick über die ganze Werkstatt. Ich sehe zwei Strafgefangene bei der Arbeit. Sie tragen einen Mundschutz. Unser Gespräch wird durch einen Anruf unterbrochen, die Auslieferung einer Leistung wird vorgezogen. Das erledigen die Beiden in der Werkstatt.

Sträflingen gefällt die Handwerkelei

Dann kann ich selbst mit denen sprechen. Ja, die Werkstattarbeit gefalle ihnen, das bestätigen sie mir. Restaurationen oder ähnliche Anforderungen wären besonders interessant, insofern sind die ISGE-Aufträge willkommene Abwechslung.

Auch Werkstattleiter Weber fühlt sich sichtlich wohl. Er ist seit 16 Jahren hier, hat vorher lange im Sächsischen Brücken- und Stahlhochbau gearbeitet. Zum Schlossermeisterabschluss hat er noch die Ausbildungsbefähigung hinzugefügt. Davon profitieren jetzt die Strafgefangenen. Alles, was sie jetzt können, haben sie sich erst im Knast unter Webers sachkundiger Anleitung angeeignet, bestätigt mir der Strafgefangene René H., der zum Plaudern aufgelegt ist. „Ich bin gern hier in der Werkstatt“, sagt er. „Die Arbeit ist interessant. Besonders schön ist es, wenn wir etwas restaurieren müssen. Das ist immer eine Herausforderung.“ Sein Spannmann hat sich etwas zurückgehalten, wollte auch nicht fotografiert werden. Das ist zu akzeptieren.

Als sich die vielen Türen hinter mir geschlossen haben und ich wieder draußen in der Freiheit stehe, hat sich beim Knastbild gründlich verändert, die ollen Klischees aus Film und Fernsehen sind drin verkümmert. Ein erneutes Einrücken muss aber nicht unbedingt sein.

Autor: Peter Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Verlorene Orte: Der alte Kaiserzeit-Knast in Berlin-Köpenick

Tatort Jugendknast

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Dresden-Lokales

von

[caption id="attachment_67607" align="alignleft" width="117"]Peter Weckbrodt. Foto: IW Peter Weckbrodt. Foto: IW[/caption] Peter Weckbrodt hat ursprünglich Verkehrswissenschaften studiert, wohnt in Dresden und ist seit dem Rentenantritt journalistisch als freier Mitarbeiter für den Oiger und die Dresdner Neuesten Nachrichten tätig.