Wirtschaft

SEMI-Chef: Europas Mikroelektronik muss sich besser vernetzen

Stephan Raithel, Geschäftsführer des Halbleiter-Branchenverbandes „SEMI Europe". Foto: SEMI

Stephan Raithel, Geschäftsführer des Halbleiter-Branchenverbandes „SEMI Europe“. Foto: SEMI

Schlaue Regenjacken und kluge Autos: Wie Elektronik „Made in Germany“ unseren Alltag verändern kann

Dresden, 20. Juli 2015. Die deutsche und die europäischen Mikroelektronik-Akteure müssen sich besser vernetzen, wenn sie mit den enormen Investitionen, die in den USA und in Asien in die Halbleiter-Industrie fließen, mithalten will, meint Stephan Raithel, Geschäftsführer des Halbleiter-Branchenverbandes „SEMI Europe“. Im Oiger-Interview bei einem Besuch in Dresden skizzierte er Stärken und Schwächen der deutschen und europäischen Mikroelektronik im weltweiten Vergleich und entwarf Visionen für die nahe Zukunft.

Wo steht die Elektronikindustrie in Deutschland, in Europa heute im internationalen Vergleich?

Stephan Raithel: Bei Material und Equipment stehen wir gut da, man denke da nur an wichtige Schlüsselzulieferer wie BASF, Wacker oder Linde aus Deutschland, Air Liquide aus Frankreich oder den Ausrüster ASML aus den Niederlanden.

In Königsklasse hat Europas Halbleiter-Industrie nur 5 % Weltmarktanteil

Aber schaut man sich Europas Anteil an der weltweiten Chipproduktion an, dann liegen wir unter zehn Prozent, in den Königsklassen sogar unter fünf Prozent. Daher hat die Europäische Kommission auch das Ziel ausgegeben, Europas Weltmarktanteil auf 20 Prozent zu verdoppeln.

Wo steht da Asien, wo Amerika?

Stephan Raithel: Tja, warum stehen die richtig großen Fabriken in Asien und den USA? Da steckt Politik dahinter. Teilweise sind das direkte Subventionen für die Mikroelektronik des jeweiligen Landes, wenn wir etwa an Korea oder Taiwan denken. Oder eben Programme wie die von Präsident Barack Obama, der sich für ,Manufacturing in US’ stark macht. Schaut man sich an, wo in der Branche derzeit richtig viel investiert wird, dann vor allem in den USA, beziehungsweise in Halbleiterunternehmen, die ihr Hauptquartier in den USA haben.

Diese Luftbild von der Fab 8 in Malta/New York entstand im Sommer 2011. Im Hintergrund ist der Sraratoga-See zu sehen. Abb.: GF

Diese Luftbild von der Fab 8 von Globalfoundries in Malta/New York entstand im Sommer 2011. Inzwischen hat der Chip-Konzern dort 15 Milliarden Dollar investiert und 3000 neue Jobs geschaffen. Abb.: GF

China ist ein Thema für sich. Wenn man nur die chinesischen Mikroelektronik-Hersteller in die Rechnung hineinnimmt, hat China einen ähnlichen Anteil wie Europa.

Europa kann mit Spezialelektronik punkten

Wo kann denn Europas Halbleiter-Industrie punkten?

Stephan Raithel: Sehr gute Voraussetzungen und Chancen sehe ich in der europäischen Leistungselektronik, die ja auch heute schon fast überall drinsteckt, von der Lampe bis zum Oberklasse-Auto. Auch für besondere Elektroniktechnologien wie ,Systems on Chips’, 3D-Packaging oder MEMS (Mikroelektromechanische Systeme, d. Red.) haben wir starke Kompetenzen. Das sind Karten, die wir spielen können!

Und woran hakt es dann eigentlich?

Stephan Raithel: Wir haben die fähigen Leute, wir haben die Technologien und gerade die deutschen Elektronikunternehmen sind gut mit der Forschung vernetzt – aber es gibt immer wieder das Problem, gute Entwicklungen zu kommerzialisieren.

Was muss sich ändern, damit die deutsche und die europäische Elektronik mehr Gewicht im internationalen Maßstab bekommt?

Stephan Raithel: Ich habe den Eindruck, dass von den Politikern die besondere Rolle der Mikroelektronik für alle anderen Industrien nicht mehr in Frage gestellt wird – auch wenn da der Fokus in jüngster Zeit etwas in Richtung Informationstechnologie und Software gerutscht ist. Auf der wirtschaftlichen Seite müssen wir es schaffen, die vielen Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Mikroelektronik bei uns besser zu vernetzen, einen übergreifenden Dialog zu ermöglichen.

Wie sieht es mit den praktischen Anwendungen aus? Welche Visionen können wir mit Elektronik aus Europa verwirklichen?

Stephan Raithel: Stellen Sie sich zum Beispiel Jacken mit Sensoren vor, die es merken, wenn es regnet – und dann automatisch auf ,wasserdicht’ umschalten. Oder an Autos, die ihren Besitzer erkennen und ihm, und nur ihm, ihre Türen öffnen. Oder an medizinische Minilabore, die man am Körper trägt oder die ins Smartphone integriert sind, und die die Blutwerte ihres Trägers ständig im Auge behalten – und Alarm schlagen, wenn sich eine Entzündung abzeichnet. Und natürlich gibt es auch sehr viele maschinenorientierte und industrielle Anwendungen, zu denen heutige Elektronikentwicklungen in Europa viel beitragen können.

Schiere Menge der Geräte im Internet der Dinge sorgt für Wachstum

Lohnt es sich überhaupt heute noch für einen jungen Menschen, eine Karriere in der Halbleiterindustrie zu beginnen?

Stephan Raithel: Auf jeden Fall. Ich will nur mal einen Punkt herausgreifen: Alle wollen mit allen kommunizieren, alle wollen Smartphones, Smart Watches und all die anderen ,smarten’ mobilen Geräte haben, die künftig immer stärker miteinander vernetzt werden. Allein schon die schiere Menge der Geräte und damit auch der Elektronik, die dafür benötigt wird, dürfte für ein erhebliches Marktwachstum sorgen. Da warten große Herausforderungen auf Berufseinsteiger – und zukunftssichere Karrieren.

-> Mikrochip-Abc

Dieses Interview ist in Vorbereitung für das „Mikrochip-Abc“ entstanden. Das „Mikrochip-Abc“ ist ein Handbuch über moderne Mikroelektronik für Schüler ab Klasse 8. Es wird vom Dresdner Unternehmen „3D:it UG“ produziert und demnächst veröffentlicht. Weitere Informationen über dieses Schulbuch sind hier im Internet zu finden: mikrochip-abc.com

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Wirtschaft

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Heiko Weckbrodt hat Geschichte studiert, arbeitet jetzt in Dresden als Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalist und ist Chefredakteur und Admin des Nachrichtenportals Oiger. Er ist auch auf Facebook, Twitter und Google+ zu finden.