Forschung

Sonne auf Erden in Greifswald

Blick in den Reaktorraum des Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in den Reaktorraum des Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Im weltweiten Rennen um den ersten Kernfusions-Reaktor laufen Planck-Physiker aus Meck-Pomm ganz vorn mit

Greifswald, 18. August 2015. Die Kernfusion gilt als schier unerschöpfliche Energiequelle, ergiebiger als Öl, sauberer als Kernspaltung, steuerbarer als Windenergie. In Greifswald nicht weit vom Ostseestrand wollen Forscher nun diese Kraft der Sonne für die Menschheit bändigen – zur Abwechslung mal nicht in Form einer zerstörerischen Wasserstoff-Bombe, sondern als unermüdlichen Strom- und Wärmspender.

Wendelstein 7X an der Ostsee kurz vor dem Betriebsstart

Physiker und Ingenieure der Max-Planck-Gesellschaft haben für die milliardenteure Großversuchsanlage „Wendelstein 7X“ ein neues Reaktor-Design ersonnen, dessen Herzstück wie ein missratener, völlig verdrehter Schmalzkrapfen aussieht. Anfang November wollen sie die ersten Portionen von 200 Millionen Grad heißem Plasma in die Vakuumkammern pumpen. Damit sind die Wissenschaftler ein ganzes Stück früher am Schalter als die Franzosen. Die basteln in Cadarache immer noch am international finanzierten „ITER“-Fusionsreaktor, der etwas anders designt ist und dem „Tokamak“-Prinzip folgt. Dass man ausgerechnet in der ostdeutschen Provinz so früh so weit ist, ist vor allem den Fortschritten der Computertechnik zu verdanken – und der Dickköpfigkeit der deutschen Forscher.

Sind ziemlich stolz auf das deutsche Design für einen Fusionsreaktor: Edward Krubasik, der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (links) und Wendelstein-Projektleiter Thomas Klinger. Foto: Heiko Weckbrodt

Sind ziemlich stolz auf das deutsche Design für einen Fusionsreaktor: Edward Krubasik, der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (links) und Wendelstein-Projektleiter Thomas Klinger. Foto: Heiko Weckbrodt

Supercomputer errechneten verdrehten Kringel als optimale Brennkammer

Erst der Einsatz von leistungsfähigen Supercomputern habe das in Mecklenburg-Vorpommern verwendete komplizierte „Stellarator“-Design überhaupt möglich gemacht, erklärt Projektleiter Thomas Klinger Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald. Denn was auf den ersten Blick wie abstrakte Kunst aussieht, wie eine völlig verdrehte Anordnung extrem starker Magnetspulen, folgt einer nur für den Mathematiker und eben Supercomputer erkennbaren „Quasi-Symmetrie“, an der sich auch die superheißen Plasma-Ringe orientieren, die unsere Sonne gern mal ausspuckt.

Blick in den Kontrollraum von Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in den Kontrollraum von Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Sterne machen’s vor

Dazu muss man wissen, dass Forscher weltweit bereits seit über 60 Jahren an einer friedlichen Nutzung der Kernfusion tüfteln – bisher indes vergeblich. In der Sonne und anderen Sternen funktioniert dieser Energieantrieb bereits seit Jahrmilliarden im Selbstlauf: Unter Millionen Grad Hitze und unter hohem Druck rasen dort Wasserstoff-Atomkerne derartig schnell aufeinander zu, das sie die Abstoßungskräfte der positiv geladenen Protonen überwinden und zu neuen Atomen verschmelzen: zu Helium. Unterm Strich haben diese neuen Atome weniger Masse als die Summe ihrer fusionierten Teile, was nichts anderes heißt, dass die Massendifferenz nach Einsteins berühmter Formel E=mc2 als pure Energie freigesetzt wird.

Eine meterdicke Stahlbetontür schirmt den Reaktorraum von der Außenwelt ab. Foto: Heiko Weckbrodt

Eine meterdicke Stahlbetontür schirmt den Reaktorraum von der Außenwelt ab. Foto: Heiko Weckbrodt

Physiker schwärmen: Schier unerschöpfliche Brennstoffreserven – und kaum radioaktiver Abfall

Und da die dafür benötigten Wasserstoff-Arten Deuterium und Tritium auch aus den Ozeanen und aus den Lithium-Vorkommen auf der Erde in riesigen Mengen förderbar sind, wäre eine beherrschbare Kernfusion für die Menschheit eine Energiequelle, die lange nach dem letzten geförderten Tropfen Öl, lange nach Kohle und Uran noch verfügbar wäre.

Zudem fällt bei einer Kernfusion nur wenig radioaktiven Abfall an, der binnen 50 bis 100 Jahren abgeklungen wäre – statt binnen Millionen Jahren wie beim radioaktiven Müll aus heutigen Kernspaltungs-Atomkraftwerken, wie Klinger betont. Einen GAU („Größter anzunehmender Unfall“) wie in einem Kernspaltungs-Kraftwerk gebe es für einen Fusions-Reaktor auch nicht, versichert er. Wenn dort die Magneten ausfallen, das Plasma die Außenwand berühre oder sonst etwas nicht mehr funktioniere, habe das vor allem eine Folge: „Die künstliche Sonne geht aus.“

Blick in den Reaktorraum des Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in den Reaktorraum des Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Bombenbau war gegen Reaktor ein Leichtes

Wie man nach dem Sonnenprinzip eine Super-Bombe bauen kann, bekamen amerikanische und sowjetische Wissenschaftler recht rasch heraus: Die Starthitze liefert eine Kernspaltungs-Bombe, die Fusionsenergie wird dann auf einen Schlag und ausgesprochen destruktiv freigesetzt. Um aber einen Reaktor zu bauen, der diese Energie langsam und wohl dosiert erzeugt, ist schon schwieriger. Das zentrale Problem dabei: Weder Stahl noch jedes andere von Menschen gemachte Material würde der Hitze von Millionen Grad Celsius, auf die das Wasserstoff-Plasma zum Start der Fusion gebracht werden muss, standhalten. Deshalb versuchen die meisten Reaktor-Konstrukteure, dieses heiße Plasma in Magnetfeldern zu lagern.

Blick in den Kontrollraum von Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in den Kontrollraum von Wendelstein 7X. Foto: Heiko Weckbrodt

Inzwischen verfolgt die Forschergemeinde vor allem drei Ansätze:

1. Laserbeschuss/Trägheitsprinzip:

Die Amerikaner versuchen, eine Art verkleinerte und zeitverzögerte Wasserstoffbombe als Reaktor zu nutzen. Dabei beschießen sie in der „National Ignition Facility“ (NIF) in Kalifornien Wasserstoffkügelchen von allen Seiten mit Lasern. Durch diesen Beschuss von allen Seiten sorgt die Massenträgheit dafür, dass der Brennstoff in der Schwebe bleibt.

In der Grafik, die Prof. Robert Wolf hier zeigt, ist zu sehen, wie das Plasma-Magnetfeld beim ITER (links) geformt ist und welch bizarre Form es bei Stellarator-Kernfusionsreaktoren wie beim Wendelstein aussieht. Foto: Heiko Weckbrodt

In der Grafik, die Prof. Robert Wolf hier zeigt, ist zu sehen, wie das Plasma-Magnetfeld beim ITER (links) geformt ist und welch bizarre Form es bei Stellarator-Kernfusionsreaktoren wie beim Wendelstein aussieht. Foto: Heiko Weckbrodt

2. Tokamak:

Diesen Ansatz verfolgt auch der internationale ITER-Reaktor unter europäischer Federführung in Südfrankreich. Hier formen äußere Magnetfelder den Brennstoff, also ein Deuterium-Tritium-Gemisch, zunächst zu einem runden Kringel. Ist diese Grundform erreicht, jagt ein Transformator starke Strompulse durch den Plasma-Kringel. Der heizt den Wasserstoff nicht nur auf Fusionstemperatur auf, sondern erzeugt auch ein eigenes Magnetfeld, das das Plasma fest einschnürt. In früheren Versuchen mit solchen Tokamak-Reaktoren brach die Reaktion aber oft von selbst zusammen, teils schnürten die eigenen Magnetfelder das Plasma zu sehr ab. In einem Vorgängermodell zum „ITER“, in der „JET“-Anlage in Großbritannien, gelang es immerhin schon, eine stabile Fusion anzustoßen. Allerdings fraß dieser Prozess mehr Energie als er erzeugte. Der ITER ist nun eine verbesserte und größere Variante der JET-Anlage. Nach derzeitigen Schätzungen wird ITER etwa sieben, vielleicht sogar zehn Milliarden Euro kosten. Nach etwa zehnjähriger Bauzeit soll der Reaktor etwa um das Jahr 2017 herum startbereit sein.

-> Zahlen und Fakten zum Wendelstein 7X gibt es hier

Sieht aus wie ein vollkommen verdrehter Schmalzkringel und wurde von einem Supercomputer als ideales Magnetfeld für eine Kernfusion errechnet: Die Feld-Brennkammer für den Wendelstein 7x. Abb.: IPP

Sieht aus wie ein vollkommen verdrehter Schmalzkringel und wurde von einem Supercomputer als ideales Magnetfeld für eine Kernfusion errechnet: Die Feld-Brennkammer für den Wendelstein 7x. Abb.: IPP

3. Stellarator

Ein Stellarator ähnelt dem Tokamak-Design. Hier wird das Magnetfeld, das den Brennstoff einschließt, aber ausschließlich durch äußere Magnetspulen erzeugt. Die wiederum müssen extrem stark sein und bestehen daher aus tiefgekühlten Supraleit-Materialien, die Strom widerstandslos leiten. Neben der thermischen Trennung zwischen dem Millionen Grad heißem Plasma in der Vakuum-Brennkammer und den auf rund -270 Grad Celsius gekühlten Supraleitspulen hat sich bei den ersten Stellarator-Versuchen allerdings ein noch ernsteres Problem aufgetan: Anders als erwartet bevorzugte das Plasma keine ideale Ringform, sondern sehr komplizierte Flussrichtungen, was wiederum auch vollkommen verdrehte Magnetspulen-Anordnungen nötig machte. Erst durch die erwähnten Supercomputer ist es inzwischen gelungen, geeignete Spulenformen und Anordnungen zu errechnen – und diese Erkenntnisse sind nun in den „Wendelstein 7X“ eingeflossen, dessen Magnetfeld inzwischen bereits stabil ist und nun auf den ersten Plasma-Einschuss wartet.

Meck-Pomm ist weltweit Nr. 1 beim Stellarator-Reaktor

Und auch wenn er sich nach außen leger bis abgebrüht gibt – man merkt es Projektleiter Thomas Klinger doch an: Der Physiker ist gespannt wie ein Flitzebogen, ob das von ihm und seinem Team mit Supercomputer-Hilfe ersonnene „Stellarator“-Design funktionieren wird. „Weltweit sind wir damit die Nummer 1“, sagt er. Wenn alles gut geht, wird sich in wenigen Wochen die große Vakuumkammer von „Wendelstein 7X“ mit Plasma füllen, das von leistungsstarken Mikrowellen-Generatoren vorher auf Temperaturen um die 200 Millionen Grad erhitzt wurde.

Kurzvideo: Blick in den Reaktorraum (hw):
 

 

Noch kein Kraftwerks-Betrieb geplant – es geht um die Machbarkeit

Zwar werden fürs Erste wohl nur ausnahmsweise ein paar Elementarteilchen zur Heliumatomen verschmelzen – aber vorerst geht es Klinger und seinen Kollegen auch nur um einen Beweis. Dass das Stellarator-Konstruktionsprinzip im Grundsatz funktioniert, dass das extrem starke Magnetfeld, das die ultraheißen Partikel einschnürt, die richtige Form für einen dauerhaften Reaktorbetrieb hat, eine Zündung jederzeit möglich ist.

Lösen Fusionsreaktoren ungeliebte Kernspaltung ab?

2019 soll „Wendelstein 7X“ in den Dauerbetrieb gehen. Wie es danach weitergeht, ist noch nicht ganz klar: Wird ITER das Rennen machen oder sich der Wendelstein als der bessere Fusionsreaktor-Bauplan erweisen? Wird daraus eine ganz neue Reaktorfamilie den Erdball überziehen, die die riskante Kernspaltungstechnologie mit all ihren radioaktiven Hinterlassenschaften ablöst?

In einem sind sich aber die Physiker und Ingenieure in Cadarache wie in Kalifornien oder Greifswald einig: Es wird noch viele Jahre dauern, bis die Kernfusion einen spürbaren Anteil an der Weltenergieversorung leisten kann, wahrscheinlich noch Jahrzehnte. Auch haben die Konstrukteure noch ein ernstes Kostenproblem: Ein Fusionskraftwerk nach dem Wendelstein-Konzept würde fünf bis acht Milliarden Euro kosten, der ITER liegt in einer ähnlichen Größenordnung. Allerdings verschlingen inzwischen auch Kernkraftwerke der Gigawatt-Klasse vergleichbare Summen.

„So was können doch nur die Deutschen bauen“

Stolz ist Klinger aber schon jetzt: Stolz darauf, dass er und all die anderen Physiker, Ingenieure, Techniker und Schweißer am Ball geblieben sind. „Anfangs sind die Kollegen von auswärts vorbeigekommen, haben sich die Entwürfe angeschaut und gesagt: ,Sehr interessant. Aber bauen kann man so was nicht’“, erzählt er augenzwinkernd. „Als wir fertig waren, haben Sie dann eben gesagt: ,Na ja, sowas können doch nur die Deutschen bauen‘.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Zahlen & Fakten zum Wendelstein 7x

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt