News, Software
Schreibe einen Kommentar

„ColorVisor“: Blinder Dresdners programmiert App fürs Farbsehen

Die Farb-App in Aktion. Abb.: visorApps

Die Farb-App in Aktion: Der Blinde hält das iPhone gen Blumenbeet und die App sagt dann nach Kameraauswertung und Datenbank-Abfrage per Sprachausgabe. den genauen Farbnamen an. Abb.: visorApps

Dresden, 1. November 2012. Der blinde Dresdner Informatiker Jan Blüher hat mit der App „ColorVisor“ ein Miniprogramm für das iPhone entwickelt, die nicht nur Blinde Farben erkennen lässt, sondern auch „sehenden“ Herren der Schöpfung helfen soll, all jene Farb-Nuancen auszumachen, die sonst nur Frauen unterscheiden.

Das Prinzip: Der Blinde – oder farbverblendete Mann – hält zum Beispiel die Socke aus dem Kleiderschrank vor die iPhone-Kamera, das Mini-Programm liest die RGB-Farbwerte (RGB steht für die Farbmischung Rot-Gelb-Blau-Anteil) aus, vergleicht sie mit einer Datenbank und sagt dem Nutzer per Sprachausgabe den Farbnamen an. In diesem Beispiel also: Blaue Socke. Rosa Socke…

Neugier auf die einst verblasste Farbwelt da draußen

Jan Blüher. Foto: Privat

Jan Blüher. Foto: Privat

„Mir ist es damit sogar beim Kindergeburtstag gelungen, einen Haufen Lego-Steine nach Farben zu sortieren“, erzählt Blüher. „Das ist zwar manchmal noch mühselig, aber doch ein großer Fortschritt zu früher.“ Oft genug habe sich gewünscht, wieder wie früher Farben zu sehen – insofern habe er seine App nicht nur als praktischen Helfer programmiert, sondern auch, um seine Neugier auf die farbige Welt „da draußen“ zu befriedigen.

Augenlicht schwand, als er 10 war

Schon als Kind war er kurzsichtig, erzählt der heute 35-Jährige. Als Zehnjähriger habe er durch Netzhaut-Ablösung – eine meist genetisch bedingte Krankheit – ein Auge verloren. „Kurz nachdem ich mein Physikstudium in Leipzig begonnen hatte, ging es auf dem anderen Auge los“, erinnert er sich. Er sei dann zu den Informatikern an die TU Dresden gewechselt, die für ihre Blindenunterstützung bekannt gewesen seien und bei denen er nach dem Studienabschluss auch arbeitete – an Algorithmen für die Nanostrukturierung durch DNA-Moleküle zum Beispiel.

Ende 2011 machte er sich selbstständig und gründete in Campus-Nähe seine Firma „visorApps“. Auf Apps für das Apple-Telefon habe er sich gestürzt, weil das iPhone unter Blinden so beliebt war und ist: Vor allem die „Voice over“-Sprachausgabe, die Blinden ansagt, über welches Bildschirmsymbol ihr Finger gerade gleitet, sei „das Nonplusultra“ unter den Smartphones, schätzt Blüher ein. „Android arbeitet da zwar auch dran, erreicht aber die Qualität der Apple-Lösung noch nicht.“

Generell findet der 35-Jährige: Der Boom der Computertelefone (Smartphones) hat Blinden „einen echten Mehrwert an Lebensqualität“ gebracht. „Deshalb haben auch so viele Blinde ein iPhone.“ Denn früher waren sie auf teure Spezialtechnik angewiesen, um Busfahrpläne zu lesen oder farbige T-Shirts auseinander zu halten. Heute übernehmen das Computertelefone mit ihren Kameras, Navi-Chips, Sprachsteuerungen und Ansagen – und eben speziellen Apps, wie sie Blühers Firma „visorApps“ entwickelt.

Frauen unterscheiden ehr Farbnuancen

Und die sind nicht nur für Blinde gedacht: „Auch Designer oder Architekten, die unterwegs eine interessante Farbe sehen, sind bestimmt froh, wenn sie nur ihr iPhone hinhalten müssen und sie bekommen den richtigen Farbnamen angesagt“, meint Blüher. „Denn viele Nuancen können nur Fachleute mit viel Erfahrung auf Anhieb bestimmen – oder Frauen.“ Denn Frauen können – physiologisch bedingt – mehr Farben unterscheiden als Männer. Auch Blüher hat sich davon leiten lassen: Die Farbnamendatenbank seiner App wurde von seiner Gattin erarbeitet.

Und mit der Farb-App soll auch nicht Schluss sein: „Ich habe noch mehr Apps in der Pipeline“, sagt Blüher. „Als nächstes kommt ein Spiel, das nicht nur Blinden Spaß macht.“ Heiko Weckbrodt

ColorVisor“ (Jan Blüher/visorApps), Farberkenner, ab iOS 5.0, 4,49 Euro

Zum Weiterlesen:

Rezension: Farb-App im Test

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

Schreibe einen Kommentar