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Sachsen pumpt Hunderte Millionen Euro in seine Mikroelektronik

Polieranlage bei Infineon Dresden - das Unternehmen hat sich vom Wackelkandidaten wieder zum Vorzeigebetrieb entwickelt. Abb.: Infineon

Blick ins Dresdner Infineon-Werk. Auch der Logikchip-Herstelller wäre ein Kandidat für ECSEl-Pilotlinien. Abb.: Infineon

Kabinett spekuliert auf Hebeleffekt: Etwa 1,6 Milliarden Euro für „schlaue“ Chip-Pilotlinien locken

Dresden, 14. Januar 2014: Der Freistaat wird in den nächsten sieben Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag in die Modernisierung und Neuausrichtung der sächsischen Mikroelektronik pumpen. Über diesen Kabinettsbeschluss hat gestern Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) in Dresden informiert. Das Landesgeld ist als Hebel gedacht, um durch das mit insgesamt 4,8 Milliarden Euro dotierte ECSEL-Programm weitere Millionen von der EU, vom Bund und aus der Privatwirtschaft zu akquirieren.

Land hofft auf millionenschweren Bundes-Beitrag

Sven Morlok. Abb.: sachsen.de

Sven Morlok. Abb.: sachsen.de

„Wir sind entschlossen, einen substanziellen finanziellen Beitrag zu leisten, damit Sachsen auch künftig der führende europäische Mikroelektronikstandort bleibt und Fördermittel der EU nach Sachsen fließen können“, erklärte Morlok. Er appellierte an den Bund, auch Geld dazu zu geben, und an die sächsischen Chipfirmen, dem Land und der EU nun Vorschläge für zukunftsweise Pilotlinien zu unterbreiten. Bisher hatte sich die Bundesregierung allerdings in den Verhandlungen mit den Sachsen nicht festlegen wollen, wie Morlok einräumte.

Hightech-Branche begrüßt Millionen-Zusage

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

Heinz Martin Esser. Abb.: Silicon Saxony

Vertreter aus der sächsischen Chip-Industrie und -Forschung begrüßten die Kabinettsentscheidung. „Darauf haben wir schon lange gespannt gewartet“, sagte Sprecher Michael Scholles vom Fraunhofer-Photonikinstitut IPMS in Dresden. „Das ist eine tolle Sache, dass der Freistaat in die Bresche der nationalen Kofinanzierung springt“, kommentierte Präsident Heinz-Martin Esser vom sächsischen Branchenverband „Silicon Saxony“ die Millionenzusage. Dies könne indes nur ein erster Schritt sein: Zum einen dürfe der Bund nicht aus der nationalen Kofinanzierung von EU-Förderprogrammen entlassen werden. Zum anderen können wahrscheinlich erst in der zweiten Jahreshälfte 2014 die ersten Pilotlinien-Vorschläge in Brüssel eingereicht werden- bis dahin muss die Industrie handfeste Projekte vorbereiten.

EU will Europas Marktanteil in Chipproduktion verdoppeln

Hintergrund der jüngsten Kabinettsentscheidung sind negative Erfahrungen der Sachsen in der jüngsten Vergangenheit: Obwohl der größte Chip-Produktionsstandort in Europa, hatte Sachsen zuletzt nur wenig von EU-Elektronikförderprogrammen etwa im Rahmen der ENIAC-Programme profitiert – „weil die nationale Kofinanzierung fehlte“, so Morlok. Inzwischen hat die EU-Kommission das ehrgeizige Programm „Electronic Components and Systems for European Leadership“ aufgelegt. ECSEL soll durch Zuschüsse für innovative Elektronik-Pilotlinien die oft beklagte Lücke zwischen guter Elektronikforschung in Europa und der Chip-Massenproduktion schließen und den europäischen Anteil an der weltweiten Halbleiterproduktion auf 20 Prozent verdoppeln.

Hälfte von Industrie erwartet, ein Viertel kommt von der EU

Von den 4,8 ECSEL-Milliarden soll die Chipindustrie die Hälfte aufbringen, in die andere Hälfte will sich Brüssel mit den jeweiligen Mitgliedsstaaten, die mitmachen, hineinteilen. Damit dieser dicke Fisch den Sachsen nicht auch noch durch die Lappen geht, will das Kabinett in Dresden einen Teil der nationalen Ko-Finanzierung selbst übernehmen. Morlok nannte zwar keine genauen Zahlen, um nicht seine Verhandlungsposition mit dem Bund zu schwächen, es dürfte sich aber um einen Betrag um die 200 Millionen Euro handeln. Weitere 200 Millionen soll der Bund zuschießen, 400 Millionen die EU, 800 Millionen die Wirtschaft – damit könnte Sachsen ein Drittel des ECSEL-Volumens abfassen.

„Schlaue“ Chips im Visier: Sachsens Förderschwerpunkt soll „Moore than Moore“ werden

Blick in den Reinraum des belgischen Mikroelektronik-Forschungszentrums "IMEC" in Löwen (Leuven), das nun auch zur Allianz "Silicon Europe" gehört. Abb.: IMEC

Blick in den Reinraum des belgischen Mikroelektronik-Forschungszentrums „IMEC“ in Löwen (Leuven). Abb.: IMEC

Zwar ist auch eine gewisse innerdeutsche Projektgelder-Konkurrenz aus Bayern (Infineon-Zentrale) und Baden-Württemberg (Bosch) zu erwarten, aber um das innereuropäische Gerangel um die Fördertöpfe zu mindern, setzt Dresden auf Spezialisierung: Von den drei ECSEL-Schwerpunkten will das Kabinett die Entwicklung von 450-Millimeter-Chipscheiben dem IMEC im Belgien überlassen und die Strukturverkleinerungen (Teilprojekt „More Moore“) den Franzosen. In Absprache mit der Fraunhofer-Gesellschaft, die selbst ein entsprechendes nationales Leistungszentrum in Dresden plant, wird dafür die sächsische Mikroelektronik auf intelligente Chips (Teilprojekt „More than Moore), die mit Sensoren, Leistungselektronik, Mikrospiegel und anderen Zusatzkomponenten vollgestopft sind, neuprofiliert.

Hier wären beispielsweise Förderanträge der neuen Dresdner Leistungshalbleiter-Fabrik von Infineon, der hiesigen Globalfoundries-Werke, von X-Fab Dresden, vom Fraunhofer-Photonikinstitut oder dem noch jungen Bosch-Entwicklungszentrum für Mikroelektromechanisches Systeme (MEMS) denkbar. Esser warnte indes davor, sich allein auf diese Richtung auszurichten: „Ich sehe bei uns auch interessante Ansätze für 450-mm-Projekte oder auch Strukturverkleinerung“, betonte er.

Mikroelektronik in und um Dresden beschäftigt 25.000 Menschen

Die sächsische Mikroelektronik, die sich besonders im Raum Dresden konzentriert hat, hält derzeit laut Wirtschaftsministerium rund 25 000 Menschen in Lohn und Brot und erwirtschaftet insgesamt Jahresumsätze um die sechs Milliarden Euro. Da es zunächst um den Aufbau von Pilotlinien geht, dürften sich im ersten Schritt aus ECSEL selbst bei optimalem Förderabruf höchstens einige Hundert neue Jobs im Raum Dresden entstehen. Münden diese kleinen Linien dann jedoch zu einer Massenproduktion, rechnet Morlok mit erheblichen Effekten für den Arbeitsmarkt. „Nun müssen aber auch all die Unternehmen, die bisher über fehlende nationale Kofinanzierungen geklagt haben, auch gute Anträge auf den Tisch legen“, forderte der Wirtschaftsminister. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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